Phantom der Oper, Offizielle Premiere Ian Jon Bourg, Essen, 03. Januar 2006

Das Phantom der Oper

 

Offizielle Premiere von Ian Jon Bourg

am 03. Januar 2006 um 20.00 Uhr im Colosseum-Theater Essen

 

 

Bericht und Kritik

von Gudrun Kauck

 

Gleich vorweg um alle Missverständnisse auszuschließen: Dies sind meine ganz persönlichen Eindrücke von der Vorstellung. Andere können anders darüber denken, etwas anderes gesehen haben oder anderer Meinung sein

 – ich schildere aus meiner Sicht und das völlig subjektiv J

 

Gut angefangen hatte die Teilung der Hauptrolle in Essen für Ian Jon Bourg nicht. Eigentlich sollten die vier Darsteller des Phantoms gleichberechtigt sein, aber allein die Äußerung eines der führenden Köpfe von Stage Entertainment bei der Premiere am 29. September 2005 stellte klar, dass mit verschiedenen Maßen gemessen wird: Er stellte den ersten Darsteller des Phantoms in Essen (den ersten in der Reihenfolge der Auftritte), Thomas Borchert,  als das „einzig wahre Phantom“ vor. Dass diese Behauptung nicht stimmt, bewies Ian Jon Bourg schon bald, denn er durfte die Vertretung an den Spieltagen übernehmen, an denen Borchert nicht spielen konnte oder andere Verpflichtungen hatte. Das Publikum, das ja zum sehr großen Teil aus „Wiederholungstätern“ besteht, feierte ihn nach seinen Vorstellungen – und das wirklich zu Recht, denn es ist immer ein besonderes Erlebnis Ian als Phantom auf der Bühne zu erleben.

 

Als dann am 31.12.2005 die Spielzeit von Ian begann, konnte man sich schon denken, dass es nicht dieser Tag sein wird, den man als Premierentag bezeichnen kann – erstens hatte Ian ja schon fast zwanzig Vorstellungen in Essen gespielt und zweitens wäre an so einem speziellen Tag wahrscheinlich niemand von der Presse da. Lange wurde gezögert, ehe der Termin für die offizielle Premiere bekannt gegeben wurde – leider zu lange, denn als wir es sicher wussten, gab es schon nicht mehr viele Plätze. Im vorderen Bereich schon gar nicht und so wurde es für uns schwer, für Ian eine schöne Premiere zu gestalten – dass er nach seiner langen Bühnenabstinenz und den tollen Erfolgen in Essen bisher eine besondere Überraschung verdient hatte, stand aber gleich für uns fest.

 

Der 3. Januar 2006 war ein nasskalter Wintertag - aber trotzdem war schon vor 19.00 Uhr das Foyer des Colosseum mehr als gut gefüllt und alle warteten gespannt, dass die Türen zum Saal geöffnet wurden. Wir hatten  uns überlegt, da wir selbst nicht vorn würden sitzen können, dass uns die Besucher in den ersten Reihen vielleicht helfen würden. Schon vor der Vorstellung verteilten wir deshalb in den ersten beiden Reihen unsere Flyer, um die Zuschauer um Mithilfe zu bitten.

 

Die Besetzung an diesem Abend:

 

Phantom der Oper

Christine Daaé         

Raoul Vicomte de Chagny

Monsieur Firmin

Monsieur André

Carlotta Guidicelli

Ubaldo Piangi

Madame Giry

Meg Giry

 

 

Ian Jon Bourg

Anne Görner

Nikolaj Alexander Brucker

Ernst van Looy

Fernand Delosch

Laurie Anne McGowan

Daniel Brenna

Marina Edelhagen

Annabel Knight

 

1. Akt:

Pünktlich hob sich der Vorhang zu einer beeindruckenden und sicher lange in Erinnerung bleibenden Show. Es waren wieder einige Besucher da, die das Phantom noch nicht oder schon lange nicht mehr gesehen hatten und so erregte der Leuchter, der zu der schmetternden Ouvertüre zu dem Musical zur Decke gefahren wird, schon viel Aufregung und Getuschel.

 

Die Szene „Hannibal“ gleich zu Beginn des Stückes sagt schon viel über den weiteren Verlauf aus – gelingen die Gags, dann wird es sicher eine gute Vorstellung. Um es vorweg zu nehmen – die Gags gelangen, das Publikum ging gut mit. Das lag sicher zu einem Teil auch an dem Monsieur Reyer dieses Abends – Daniel Pabst, der die Rolle so spielt, als wäre er Monsieur Reyer, der Repetitor des Stückes. Seine Gestik und die Bewegungen sicher übertrieben, aber sehr passend zu der Figur. Er schnatterte dermaßen auf die armen Ballettmädchen ein, dass wirklich niemand darauf achtete, dass die neuen Direktoren auf der Bühne angekommen waren. Madame Giry (Marina Edelhagen) musste mit ihrem bekannten Stock für die nötige Ruhe und Aufmerksamkeit sorgen.

 

Die Darstellerin der Carlotta – Laurie Anne McGowan – hat sich inzwischen sehr gut in ihre Rolle eingelebt. Die Carlotta wirkt jetzt wieder ein bisschen schrill, ein bisschen exzentrisch, ein bisschen zu arrogant und ein ganz kleines bisschen italienisch. Der Piangi an ihrer Seite – Daniel Brenna – bildet einen stimmgewaltigen Gegenpol, der sich wirklich liebevoll um „seine“ Carlotta kümmert und ihr immer zur Seite steht, auch gegen diese „Dilletanti“ von Direktoren.

 

Die beiden neuen Direktoren der Oper – Monsieur Firmin (Ernst van Looy) wie immer sehr darum bemüht, den Bestand an Musikern zu zählen und mit den Ballettmädchen zu flirten, während sein Kollege André (Fernand Delosch) sich eher um die Diva kümmert. Ernst van Looy ist so eine feste Größe in dem Stück, dass es mir immer unangenehm auffällt, wenn er nicht da ist. Fernand Delosch ist ja erst seit Dezember fest im Ensemble. Er müsste noch ein bisschen lockerer werden, damit seine wirklich gelungen Grimassen und überkandidelten Handbewegungen auch besser zum Zuge kommen.

 

Anne Görner als Christine ist in Essen meine Lieblingsbesetzung. Sie stellt die Christine so jung und naiv dar, wie es der Rolle entspricht. Naiv, weil sie immer noch denkt, dass ihr verstorbener Vater ihr einen Engel geschickt hat, der sie auch das Singen lehrt. Anne singt die Arie „Denk an mich“ sehr gefühlvoll, kindlich verspielt und mit sehr starker Stimme.  Es ist schön zu beobachten, wie stolz sie nach der geglückten Arie den Applaus und das Lob von Madame Giry entgegen nimmt. Es wirkt sehr echt und nicht aufgesetzt.

 

Raoul (Nikolaj Alexander Brucker) besucht seine Jugendfreundin in ihrer Garderobe – warum sagt er nur in so vorwurfvollen, strengen Ton zu ihr „Wo ist dein rotes Halstuch?“. Sie erkennt ihn aber auch und fällt ihm freudig um den Hals, zieht sich gleich darauf aber wieder schüchtern zurück, weil sie eben nicht mehr das „liebe Lottchen“ von früher ist. Raoul erzählt zwar aus der Jungendzeit, aber er hat einen fast schon Befehlston drauf, als er sie zum Essen einlädt. „Jetzt geh’n wir essen!!“ – und ich denke jedes Mal, wenn ich das höre, „ohne mich!“ Ein bisschen liebevoller dürfte er sie schon einladen, oder?

 

Das Phantom scheint ähnlich zu denken, denn kaum ist Raoul verschwunden, ertönt das „Impertinent“ hinter dem Spiegel. Schon beim ersten Ton erkennt man Ian Jon Bourg an seiner markanten, kraftvollen Stimme. Die Stimmen von Anne und Ian harmonieren sehr schön beim „Engel der Muse“ und Raoul kommt dann wie immer zu spät, denn das Phantom entführt Christine durch den Spiegel in sein unterirdisches Reich.

Gänsehaut beim Titellied ist eigentlich schon vorprogrammiert! Die Kulissen, der Nebel und die stakkatoartige Musik, alles zusammen verbunden mit den schönen Stimmen – Genuss pur J. Anne spielt diese Szene sehr schön. Sie ist überrascht, wohin das Phantom sie entführt hat, sie hört gerne, dass sie sein Engel der Muse soll und ist sie unheimlich stolz, dass ihr gelingt, so zu singen, wie er es wünscht.

 

Was soll man zur „Musik der Nacht“ noch sagen? – gibt es ein eindrucksvolleres Lied? Richtig vorgetragen sicher nicht! Lockend, verführerisch, Verlangen weckend – schon jetzt spürt man, dass es zwischen den beiden Hauptdarstellern knistert, dass da eine Beziehung besteht, die man auch als Zuschauer spürt. „Komm und spür den süßen Rausch des Schwebens..“ – weich und zart, verführerisch – und trotzdem keine anzügliche Geste oder unnötige Berührung. Aber man kann Christine verstehen, dass dieser Mann seine Anziehungskraft auf sie ausübt – auch wenn er hinter einer Maske versteckt ist. Der Beifall für dieses Lied war sehr spontan und sehr laut – das Publikum war spürbar begeistert.

Und dann die Szene mit der ersten Demaskierung. Die neugierige Christine will einfach wissen, wer sich hinter Maske versteckt – wer dieser empfindsame Mensch ist, der sie so in seinen Bann zieht. Allerdings erlebt sie eine Überraschung, als ihr die Demaskierung gelingt – wie ein Dämon will das Phantom sich auf sie stürzen, wirkt dann aber doch so verletzlich und tief erschüttert, dass sie ihm ergriffen die Maske zurück gibt. Das Leiden dieses deformierten Menschen vermag Ian unglaublich ergreifend darzustellen – man möchte auf die Bühne gehen und ihm gleich die Maske wieder geben, damit er sich schützen kann.

 

Christine hat seine Schwäche gesehen, deshalb er kann sie nicht mehr in seinem Versteck behalten. Er bringt sie zurück ins Theater, will sie aber weiter fördern, indem er mit drohenden Briefen durchsetzen will, dass sie die Hauptrolle in der Oper „Il Muto“ bekommt. Als die Briefe nacheinander entdeckt werden, herrscht wie immer Wut und Ärger über diese unverschämten Forderungen – die Szene mit den Briefen ist eine der beeindruckendsten des Stücks, weil da teilweise bis zu sieben verschiedene Darsteller zwar gleichzeitig, aber mit verschiedenen Texten singen. Auch dieses Mal ist die Szene gut gelungen, auch wenn man Madame Giry etwas besser hätte hören müssen, denn sie warnt ja alle von dem „Engel“.

 

Wie immer ein Lacher im Publikum: der Auftritt in den überzogenen Rokoko-Kostümen zu „Il Muto“. Don Attilio (Lars Henry Larsson) erhielt von den gut aufgelegten Zuschauern auch den verdienten Applaus bei seinem lang gehaltenen Ton – auch wenn der Dirigent gerne schon weitergespielt hätte J.

Aber dann droht das Phantom ja auch schon wieder, weil die Loge 5 nicht freigehalten wurde und er straft die arrogante Carlotta mit dem Kröten-Stimmchen. Schön gespielt und gesungen von Laurie Anne McGowan.

 

Beim Schäfertanz fiel dann wieder besonders Meg Giry (Annabel Knight) auf, die mit ihren übertriebenen, aber liebenswerten Grimassen auch den letzten Zuschauer auf die drohenden Schatten an der Wand aufmerksam macht.

 

Raoul und Christine flüchten aufs Dach. Raoul (Nikolaj A. Brucker) versucht die ängstliche Christine zu beruhigen – aber sie ist noch immer ergriffen von der „Musik der Nacht“, die ihr einen ganz anderen Eindruck dieses „Monsters“ hinterlassen hat. Raoul tut es als Traum ab und es gelingt ihm auch Christine zu beruhigen – bis sie wieder die leise Stimme des Phantoms hört. Die Umarmung von Raoul und sein Versprechen „Nun bist du geborgen“ trösten Christine (Anne Görner) und sie singen zusammen das Duett „Mehr will ich nicht von dir“. Anne Görner singt mit sehr viel Gefühl und Textverständnis – Nikolaj A. Brucker wirkt in meinen Augen immer etwas unscheinbar und nicht so liebenswert, wie Raoul doch eigentlich sein sollte.

 

Die Verzweiflung des entstellten Mannes, der im Engel alles mitangehört hat, spielte Ian Jon Bourg dann wieder so eindrucksvoll, dass man mit ihm litt und die Wut verstehen kann – denn er hört ja immer noch das Liebesgeflüster der beiden. Donnernd die Stimme und mit absolutem Gänsehaut-Feeling dann das Ende des ersten Aktes: „Nun bist du dem Untergang geweiht durch das Phantom der Dunkelheit“. Das hämische Lachen klingt noch nach, auch wenn der Kronleuchter inzwischen schon auf die Bühne gestürzt ist.

 

Wir hatten in der Pause viel zu tun. Wir mussten die Blumen verteilen und wollten den Zuschauern noch mal erklären, warum sie die Blumen werfen sollen. Es sah auch wirklich so aus, als würden alle mitmachen – auch wenn der eine oder andere die Blumen auch ganz gerne mitgenommen hätte J.

 

2. Akt:

Beim Entr’Acte waren wir wieder auf unseren Plätzen und konnten nur noch hoffen, dass auch alles gelingen würde. Die Musik von „Maskenball“ und die Direktoren im Dunkeln zogen dann die Aufmerksamkeit des Publikums aber wieder auf die Bühne. Das üppige Bühnenbild von Maskenball fasziniert immer wieder und auch wir können immer wieder etwas Neues entdecken oder eine Maske, die es vielleicht beim letzten Besuch so nicht gab.

Der „Rote Tod“ lähmt aber die ganze Szenerie schon bald wieder und Christine merkt, dass sie noch immer im Banne ihres „Engels“ steht. Sie kann (oder will?) sich dann auch nicht wehren, als das Phantom ihr den Verlobungsring von Raoul entreißt.

 

Raoul ärgert das natürlich umso mehr und er will nun von Madame Giry wissen, wer dieses Wesen überhaupt ist. Nur unwillig gibt sie Auskunft. Und da haben die Direktoren auch schon bemerkt, dass es wieder neue Briefe vom Phantom gab – das Entsetzen ist groß und die Wut noch größer, deshalb beschließt man den Wünschen des Phantoms zu entsprechen und Christine die Hauptrolle in der von ihm geschriebenen Oper zu geben. Man will ihn damit in eine Falle locken und Christine soll der Köder sein. Christine will nicht. Sie weigert sich, weil sie ja eigentlich in ihm ihren Lehrer sieht. Sie hat Angst, dass er sie wieder verschleppt und dann für immer behält. Sie ist alleine mit ihrer Entscheidung, aber Raoul fordert von ihr, dass sie helfen muss, denn von ihr würde alles abhängen. Christine ist verzweifelt – sie steht von allen Seiten unter Druck.

 

Die Probe zur Oper zeigt uns dann schon, dass sich Christine Raoul’s Forderung gebeugt hat und sie probt schon für die Hauptrolle. Wieder einmal zeigt sich, dass das Phantom immer dabei ist und alles hört. Auch die falschen Töne von Piangi und die Lästereien von Carlotta bleiben nicht ungehört.

 

Die verzweifelte Christine sucht Rat und Schutz am Grab ihres Vaters. Sie singt eindringlich „Könntest du doch wieder bei mir sein“. Anne Görner hat dieses Lied sehr eindrucksvoll vorgetragen. Das Publikum lauschte aufmerksam und war ergriffen als der letzte Ton verhallte – es folgte eine lange Pause, ehe der Beifall kam.

Noch einmal versucht das Phantom Christine in seinen Bann zu ziehen. Er singt so beruhigend, als wäre er ihr Vater oder der von ihm geschickte Engel – „Rührendes Kind“. Es scheint auch schon gelungen, denn Christine geht wie von fremder Hand geführt zur Gruft des Vaters – „...komm zu mir, Engel der Muse...“. Raoul kommt im letzten Moment und kann gerade noch verhindern, dass Christine entführt wird. Nun ist das Phantom aber wirklich böse und er stößt einen lauten, fast verzweifelten Ausruf aus: „Dann soll Krieg sein zwischen mir und euch Beiden!“

 

In der Oper wird die Aufführung vorbereitet. Raoul und die Direktoren wollen aber damit auch dem Phantom eine Falle stellen – sie verriegeln die Türen und stellen überall Polizisten auf. Das Phantom macht sich lustig über sie. Seine Stimme erklingt aus allen Ecken der Oper.

 

Die Oper „Don Juan“ geschrieben vom Phantom persönlich kommt zur Aufführung. Christine spielt ein leichtes Mädchen, das vom reichen Herrn bezahlt wird. Anne Görner spielt das sehr schön, sie wirkt jetzt ganz anders als die schüchterne Christine. Die Szene, in der das Phantom mit dem Umhang erscheint, ist eine meine liebsten im ganzen Stück. Außer seinen Händen sieht man ja nichts von ihm und nur mit seinen schönen Händen kann Ian hier alle Gefühle ausdrücken, die er in diesem Moment fühlen soll: Verlangen, Hoffnung, Begehren.....  Die Momente zwischen dem Phantom und Christine, die ja nun beide eine andere Rolle spielen, sind so emotional, so knisternd, so voll verstecktem Verlangen – so könnte es weitergehen J. Die tangoartige Musik und die lockende, weiche Stimme des Phantoms – alles so ganz anders als im Rest. Auch Christine spielt anders – sie ist weder schüchtern noch ängstlich – ja fast schon herausfordernd. Aber da entdeckt Christine die Maske unter dem Umhang – sehr schön gespielt von Anne Görner - und würde am liebsten sofort die Bühne verlassen. Das Phantom merkt den Wandel und hält sie fest. Sein laut donnerndes „Halt“ gibt zu verstehen, dass er sich nun nicht mehr verstellen braucht. Nun klingt die Stimme wieder voll und drohend – bis zu dem Moment, wo Christine Raoul und dem Publikum zeigen will, dass unter dem Umhang das Phantom steckt. Sie zieht ihm die Kapuze ab. Und was macht er in dieser Situation – er gesteht ihr seine Liebe in so liebevollen und zärtlichen Worten wie Raoul und steckt ihr sogar seinen Ring wie zur Verlobung an. Noch immer greifen Raoul und die Direktoren nicht wie versprochen ein  und so tut Christine in ihrer Verzweiflung das einzige, was ihr einfällt – sie reißt dem Phantom die Maske herunter. Mit der Maske fällt die Perücke und ein entstellter Mensch steht hilflos da. Er reißt Christine mit und flieht mit ihr wieder in sein Versteck.

 

Man verfolgt die Beiden, aber auf den Rat von Madame Giry schützen sich alle vor dem indischen Lasso. Verzweifelt schildert das Phantom Christine, dass er sich ja eigentlich nichts vorzuwerfen hatte, außer der Maske, die sein entstelltes Gesicht versteckt. Es ist so ergreifend wie Ian diesen Part  fast weinerlich singt – man muss einfach Mitleid haben.

 

Im Versteck angekommen trägt Christine das Brautkleid, das vorher die Puppe trug. Christine spürt, dass das Phantom ohne Maske nicht so stark ist und macht ihm Vorwürfe. „Verflucht, versteckt, der eignen Mutter Klage.....“ singt er mit brüchiger Stimme. Da kommt Raoul zu dem Versteck und wird vom Phantom prompt eingelassen – Raoul hofft, Christine so helfen zu können. Aber das Phantom verspottet ihn und wiederholt die Worte, die er auf dem Dach belauscht hat. Christine und Raoul sind entsetzt und als Raoul auch noch mit dem Lasso gefangen wird, kehrt das Phantom seine Macht voll heraus. Er stellt Christine vor die Wahl, entweder bei ihm zu bleiben und Raoul damit zu retten oder mit ihm zusammen zu sterben. Die Zerrissenheit des Phantoms in dieser Situation wird von Ian eindrucksvoll dargestellt – von einem Moment zum anderen wechselt sein Ausdruck. Einmal stark und überlegen, dann wieder bittend und verzweifelt. Das Phantom weiß auch nicht mehr weiter, als er Christine zur Entscheidung auffordert. Doch was macht sie? Sie erkennt, dass dieser Mensch ein schreckliches Leben hatte und eigentlich nur auf der Suche nach Liebe ist. Sie küsst ihn – und er weiß mit dem Kuss nichts anzufangen, ja fast möchte er sie noch wegstoßen. Sie küsst ihn ein zweites Mal – und die Zerrissenheit wird noch deutlicher! Er läuft nachdenklich zu den Kerzen und befreit den verblüfften Raoul aus seinem Lasso. Er schickt Raoul und Christine weg. Die sind so erstaunt, dass sie das gar nicht gleich machen – drohend geht er auf sie zu und jagt sie aus seinem Leben.

 

Die Spieluhr mit dem Affen wird sein Zuhörer: „Maskenball, Pappgesichter überall, Maskenball dein Gesicht bleibt versteckt und keiner sieht dich!“ Da steht Christine wieder vor ihm und erneut keimt Hoffnung auf. Endlich ringt er sich durch seine Liebe mit eigenen Worten auszudrücken: „Christine, ich liebe dich“ – aber es ist zu spät. Christine gibt den Ring zurück, schaut ihn erstaunt und mitleidig, ja fast schon entsetzt an, dreht sich um und rennt weg.

 

Verzweifelt und allein bleibt das Phantom zurück. Ein letzter Aufschrei: „Nur allein mit dir wird es vollbracht. Nun stirbt mein Lied und die Musik der Nacht.“ Das singt Ian so eindrucksvoll und mit voller, lauter Stimme, dass es durch und durch geht – die Musik dazu tut ein übriges. Dann setzt er sich in den Stuhl und als Meg das Tuch wieder entfernt, ist nichts geblieben außer der Maske.

 

Dass das Publikum ergriffen war, merkt man an der kleinen Pause, die vor dem Applaus war. Aber dann gab es stürmischen Applaus – und „unsere Zuschauer“ in den ersten Reihen warfen die Blumen genau im richtigen Moment auf die Bühne. Alle von uns gebundenen Sträußchen aus roten Rosen verziert mit jeweils einer weißen Phantom-Maske liegen Ian zu Füßen als er zu seinem Schlussapplaus nach vorn auf die Bühne kommt. Er ist sichtlich gerührt und noch mehr erstaunt, wo die Blumen so schnell hergekommen waren. Ihm werden noch zwei weitere Blumensträuße überreicht und auch das Theater übergibt ihm einen Strauß. In einem Meer von Rosen steht er auf der Bühne und nimmt den verdienten, lang anhaltenden Beifall entgegen. Es war eine beeindruckende Show und auch wenn es nicht die richtige Premiere von Ian war – die offizielle Premiere wird ihm und vielen anderen sicher noch lange in Erinnerung bleiben.

 

 

Da es sich um Ian’s Premiere handelte,

möchte ich noch ein paar Worte über ihn und seine Phantom-Darstellung sagen:

 

Wer Ian Jon Bourg noch nicht als „Phantom“ erlebt hat, kennt das Phantom der Oper nicht. Er lebt diese Figur, er kann jede Gefühlsregung nachvollziehen, er weiß jede Handlung zu begründen, durch ihn ist das angebliche Monster gar kein Monster, sondern ein empfindsames Wesen mit Gefühlen wie du und ich.

 

Seine Interpretation der Rolle fesselt vom ersten Moment an. Man kann sich nicht entziehen, wird immer tiefer in den Bann des Phantoms gezogen, man leidet mit ihm, man fühlt mit ihm, ja man hasst sogar mit ihm. Ian stellt das Phantom so dar, dass sich jeder in diesen entstellten Menschen hinein versetzen kann. Alles wirkt glaubwürdig und echt – nicht gespielt, nicht aufgesetzt – man vergisst zuletzt, dass das Ian Jon Bourg ist und sieht nur noch das Phantom.

 

Mit seiner kraftvollen Stimme kann er alle Gefühle wiedergeben. Er wirkt wütend, eifersüchtig und verletzt, wenn er als „Engel der Muse“ erscheint. Er wirkt selbstsicher und stark beim „Phantom der Oper“, aber er ist gefühlvoll, überzeugend und lockend bei „Musik der Nacht“. Seine Wut und seinen Zorn hört man deutlich, wenn er mit den Direktoren streitet oder Carlotta die Kröten-Stimme verpasst. Pure Verzweiflung hört man im „Engel“, zuerst flüsternd, dann bis zum Aufschrei steigernd. Die Ausweglosigkeit im Labyrinth (besonders im Zusammenspiel mit Anne Görner), dargestellt durch flüsternde Worte und herausgeschriene Verzweiflung – es geht einfach nicht besser!

Und immer klingt seine Stimme – er brüllt nicht, er schreit nicht, jeder Ton ist kontrolliert  – er singt vom ersten bis zum letzten Ton!

 

Eigentlich war eine Steigerung seiner Leistung seit Hamburg gar nicht mehr möglich, aber es ist trotzdem so. Die Darstellung des Phantoms in Essen – sowohl gesanglich als auch schauspielerisch - ist meiner Meinung nach seine bisher beste – er zeigt noch mehr Gefühl, ist noch einfühlsamer, noch emotionaler und dabei ist seine Stimme so wunderbar weich. Was aber nicht ausschließt, dass diese Stimme in manchen Szenen auch donnernd und mächtig erscheinen kann.

 

Ich gehe immer sehr nachdenklich aus seinen Vorstellungen, weil er mir das angeblich „brutale“ Phantom als zutiefst verletzten und verzweifelten Menschen gezeigt hat, der sich wie alle nur nach einem sehnt: nach Liebe.

 

© Gudrun Kauck – 07.01.2006

>>> Fotos Schlussapplaus 03. Januar 2006 <<<

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