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                                            C H E S S

 

                             Staatstheater Kassel, 23. Februar 2002

 

 

         

 

 

Wir hatten schon viel über das Musical der beiden ABBA-Männer gehört, aber bisher noch keine Gelegenheit gehabt, es auf einer Bühne zu sehen. Benny Andersson und Björn Ulvaeus haben die Musik zu dem Stück  geschrieben, der Text stammt, wie bei vielen anderen Musicals auch, von Tim Rice. Ein hochkarätiges Team, das hier zusammen gearbeitet hatte.

1986 fand die Uraufführung in London statt (mit Elaine Page) und wurde auch danach noch überall in der Welt aufgeführt, trotzdem gilt es immer noch als Geheimtipp. Viele der Songs waren in den 80ern in den Charts, z.B. „One Night in Bangkok“ und „I know him so well“ dürften doch bekannt sein?

 

Anders als bei den Webber-Musicals ist aber bei diesem Stück keine zwingende Vorgabe bezüglich der Aufführung gegeben. Sowohl die Handlung, als auch die Songs und wahrscheinlich auch das Bühnenbild, werden je nach Theater individuell bearbeitet.

 

Der Titel „Chess“ deutet auf die Schachweltmeisterschaften hin, die zu Zeiten des kalten Krieges zum Krieg am Brett zwischen dem Osten und dem Westen  wurden. Und in den meisten Fällen wurde das Endspiel der Schachweltmeisterschaft auch wirklich zwischen einem Amerikaner und einem Russen ausgetragen.

 

In der ersten Fassung in London lag die Schachweltmeisterschaft in Meran 1981 zugrunde, bei der die Kubakrise (1962) und der darauf folgende kalte Krieg immer noch den Anlass zu den lange anhaltenden politischen Reibereien gaben.

 

Bei der Aufführung in New York (1988) und beim Staatstheater in Kassel (2002)  wurde die Zeit ein wenig zurückgedreht und mehr der Ungarnaufstand 1956 als Reibungspunkt zwischen den Großmächten genommen.  Allerdings ist seit dem Aufstand schon wieder einige Zeit vergangen – wir schreiben das Jahr 1962 und befinden uns in New York. Aus der ehemals britischen Freundin Frederick Trumpers wurde nun die Ungarin Florence Vassy.

 

Das Staatstheater Kassel ist, wie die meisten Gebäude dieser im Zweiten Weltkrieg völlig zerstörten Stadt, ein Nachkriegsbau – nicht schön, aber zweckmäßig. Da wir aber schon von vielen guten Aufführungen und sogar  einigen Welturaufführungen gehört hatten, waren wir doch mit einigen Erwartungen losgefahren.

Das Innere des Theaters ist mit viel Holz gearbeitet, aber trotzdem mit vielen modernen Elementen. Hinter einem Orchestergraben, der sich halbrund vor der Bühne hinzog, war vorerst nur ein schwarzer Vorhang zu sehen. Aus dem Orchestergraben leuchtete uns ein runder Tisch mit zwei zylindrischen Hockern entgegen. Auf dem Tisch war ein überdimensional großes Schachbrett mit modernen stilisierten Figuren aufgebaut. Sonst konnte man vorerst noch nichts sehen.

Um 19.30 Uhr wurden wir von einer Stimme aus einem übersteuerten Lautsprecher darauf hingewiesen, dass es gleich losgehen würde und die Handys doch bitte noch ausgeschaltet werden sollten. Danach wurde es dunkel im Saal. Ja, das war’s aber auch schon, denn sonst passierte erst mal nichts. Vereinzelte Huster waren zu hören, ansonsten herrschte atemlose Stille. Na, und dann ging halt das Licht wieder an. Panne! Nach dem Tag, den wir schon hinter uns hatten, wunderte uns das eigentlich gar nicht mehr. Jedenfalls mussten wir erst mal leise lächeln.

 

Aber dann wurde es gleich wieder dunkel und nun fing auch das Orchester an zu spielen. Als der Vorhang sich hob, konnte man das minimalistische, dem Stil der 60er Jahre angepasste Bühnenbild erkennen. Die ganze Bühne war durch ein von der Decke abgehängtes, überdimensionales schwarz-weißes Kreuz in verschiedene Abschnitte zu teilen. Dabei wurden an dem Kreuz, das in verschiedene Höhen gefahren wurde, die verschiedenen Elemente eingehängt oder verschoben. So entstanden mit wenigen Handgriffen eine Hotelhalle, das Hotelzimmer der Amerikaner, das Hotelzimmer der Russen, eine Bar und auch der Raum, in dem das Schachturnier stattfand. Das bewegliche Mobiliar wurde von den Darstellern mitgebracht und auch wieder entfernt. Um mehr Dreidimensionalität zu erzeugen, wurden bei bestimmten Szenen rechteckige Klötzchen aus dem Bühnenuntergrund herausgefahren, auf denen die Darsteller sitzen oder stehen konnten. Alles war weitgehend in den Farben schwarz und weiß gestaltet.

 

Der 1. Akt begann mit ganz leisen Klaviertönen, zu denen der Schiedsrichter verkündete, dass das Spiel nun beginnen würde. Er weist in seinem Lied auf den Ursprung des Spiels hin und dass es schon viele hundert Jahre gespielt werden würde. Ursprünglich sollte es einer Mutter von zwei Prinzen den Bruderzwist verdeutlichen, bei dem der eine Prinz gefallen war – „Die Geschichte des Schach“. Erwin Windegger als Schiedsrichter hatte diese Aufgabe übernommen und er erklärte dann auch gleich, dass morgen die Schachweltmeisterschaft 1962 in New York zwischen Frederick Trumper, dem jungen, exzentrischen, mürrisch-aggressiven, amerikanischen Titelverteidiger, und Anatoli Sergievsky, dem problembeladenen Russen als Herausforderer, stattfinden wird.

Fredrick Trumper (Gaines Hall) macht vor den  Reportern und Journalisten gleich eine große Show – „Schau wie toll“  (What a scene! - What a joy!), um die russische Delegation zu beeindrucken – und um seinen Marktwert zu steigern.

Mit wenigen Handgriffen war aus der Hotelhalle, in der das erste Treffen stattgefunden hatte, das Hotelzimmer vom Frederick geworden. Er saß am Tisch mit einem Schachbrett und spielte alte Spiele nach. Nebenbei ließ er sich von seiner Freundin und Sekundantin, der geborenen Ungarin Florence Vassy (Annika Bruhns), die neuesten Pressestimmen vorlesen. Je niederschmetternder die Berichte, desto mehr war er darüber erfreut. Nun wurde auch sehr deutlich, dass es für ihn nicht nur ein Schachspiel sein würde, sondern ein politischer Kampf am Brett.

Wieder änderte sich das Bühnenbild und noch während Frederick sprach, war aus dem Hotelzimmer wieder die Hotelhalle geworden, in der nun eine Pressekonferenz stattfand. Florence hatte Frederick noch versucht zu warnen, er möge keine Provokationen gegen die Russen vorbringen, aber Frederick äußerte sich trotzdem abfällig über seinen Gegner. Dann wendet sich das Blatt, als die TV-Journalistin Jane Richardson ihn nach der eigentlichen Funktion von Florence befragt, von wem sie denn finanziert werde und ob sie auch seine Geliebte sei? Diese Provokation ist für Frederick zu viel. Er verliert die Fassung und geht auf die Reporterin los. Natürlich sind die amerikanischen Fernsehsender mit Kameras dabei.....

....und natürlich bekommt sein Kontrahent am Brett diese Aufnahmen zu sehen. Der KGB-Mitarbeiter Molokov (Wolf Steinbach) – im schwarzen langen Ledermantel- hält daraufhin Frederick für einen Spinner, aber Anatoly Sergievsky (Charles Fornara) warnt davor, ihn zu unterschätzen. Nun wird auch deutlich, dass Anatoly ein Werkzeug der Russen ist und Molokov der eigentliche Drahtzieher. Er will sich die Schwachstelle des Gegners, die offensichtlich Florence ist, zunutze machen. Die Vergangenheit in Ungarn, das Verschwinden ihrer Verwandten während des Ungarnaufstandes, soll ausgenutzt werden. Anatoly ist dagegen. Er leidet unter der Situation und unter dem Kommerz – „Wo ich sein wollte“ (Where I want to be).

Nun treffen die amerikanische und die russische Delegation aufeinander und es werden „Freundlichkeiten“ ausgetauscht. Vordergründig wirkt alles sehr gelassen, aber in der Tasche werden die Messer gewetzt. Der „Diplomaten-Song“ – Schwere Zeiten sind da – drückt die Stimmung aus.

 

Dann erklärt der Schiedsrichter die Spielregeln – „Arbiters Song“ – aber das Misstrauen zwischen den Delegationen bleibt bestehen. Man verdächtigt sich gegenseitig, Mikrofone in die Stühle eingebaut zu haben und ähnliches.

Mit der „Chess-Hymne“ beginnt dann das eigentliche Spiel, das immer wieder von Werbeleuten unterbrochen wird. Sehr originell gemacht, wie da die Werbespots über die Bühne laufen und laut zu amerikanischen Marsch-Rhythmen ihre Produkte anpreisen. Alle sind schwarz, weiß oder schachbrettartig angezogen. Da hüpfen schwarze und weiße Pferdchen über die Bühne, eine schwarz-weiße Zigarettenschachtel, eine schwarze Königin, ein weißer König, eine schwarz-weiße Kaffeetasse, eine Zahnbürste, ja sogar das Toilettenpapier, für das geworben wird, ist schachbrett-farbig.

Die Werbeleute verschwinden im Hintergrund und das Spiel geht, kommentiert von der TV-Reporterin, wieder weiter. Zuerst ist Frederick sehr stark und gewinnt Spiele. Aber er gerät immer mehr unter Druck, was man daran erkennt, dass er die Jacke auszieht, die Ärmel hochkrempelt und das Haar zerzaust.

Zwischendurch kommt wieder lautstark die Werbetruppe auf die Bühne. Der Sponsor besteht darauf.

Das Spiel geht in die dritte Runde und Frederick gerät immer mehr unter Druck, aber er kapituliert nicht, sondern verlässt laut polternd plötzlich die Arena. Alle sind über diesen Ausbruch überrascht und empört.

Der Schiedsrichter versucht die Situation unter Kontrolle zu halten, aber die Delegationen und auch Florence, Molokov und Anatoly sind aufgebracht. Die Politik rückt in den Mittelpunkt, da nützt auch die Beruhigung des Schiedsrichters nichts, der darauf hinweist, dass es doch um Schach gehe Quartett“. Sehr eindrucksvoll dieses Stück, bei dem sich Florence, Molokov, Anatoly und der Schiedsrichter einen Streit liefern. Die Stimmen passen sehr gut zusammen und es entsteht wirklich der Eindruck eines Rededuells.

Molokov gibt Florence zu verstehen, dass dies nun ihre letzte Chance sein wird, Frederick zurück ans Brett zu bringen. Florence verteidigt Frederick, auch wenn er voll des Hasses auf die russische Nation ist.

Fredericks Agent Walter (Joel Kirby) versucht Frederick davon abzubringen, für die Fortsetzung des Spiels 20.000 $ zu fordern. Als auch Florence versucht,  ihn umzustimmen, wirft er ihr vor, die Seiten gewechselt zu haben. Er erinnert sie an ihren Vater, der als Widerstandskämpfer ums Leben kam – „Budapest“.

Florence beschließt, alleine zu dem vereinbarten Treffen zwischen Frederick und Anatoly zu gehen. Das Treffen sollte ein letzter Versuch der gütigen Einigung sein. Sie stellt fest, dass jeder ganz allein ist im Leben – „Jeder ist allein“ (Nobody’s Side). Auf der Bühne wechselt sie ihr rotes Kostüm in ein schickes schwarzes Abendkleid, wirft die Pelzstola über und geht in die Bar zu dem Treffen.

 

In der Bar kommen sich Anatoly und Florence schnell näher, sie fühlt sich von ihm verstanden. Gerade als sie sich küssen, kommt Frederick dazu und ist entsetzt. Jetzt will er das Spiel durchziehen – „Mountain Duett“ (Liebesduett). 

Das Schach-Duell geht tatsächlich weiter. Frederick verliert das Spiel und auch Florence. Nach ihrer Kündigung ist er völlig niedergeschlagen. Er erzählt sein trauriges Schicksal vom ungeliebten, unverstandenen Kind, vom Vater, der die Familie verlassen hat und von dem Hass, der in ihm schlummert – „Arm ist das Kind“ (Pity the child).

Großartig wie Gaines uns hier in den Zweispalt der Gefühle des Frederick Trumper führt. Man kann nicht anders – man leidet mit ihm. Missverstanden, vom Vater verlassen und immer auf sich alleine gestellt war Frederick schon früh mit den Realitäten der Welt konfrontiert worden. Stark!

Wieder sind die beiden Delegationen auf der Bühne versammelt. Der Schiedsrichter öffnet einen Brief und gibt bekannt, dass Frederick Trumper das Spiel aufgegeben habe. Der neue Schachweltmeister ist nun Anatoly Sergievsky. Zum Klang der russischen Nationalhymne bekommt er die Ehrung. Noch während die Musik erklingt, stürmen Anatoly und Florence aus dem Saal. Anatoly bittet um amerikanisches Asyl.

Die Formalitäten werden von einem Regierungsbeamten erledigt. Anatoly muss wahrheitsgemäß angeben, dass er in Russland eine Frau und zwei Kinder hat, aber trotzdem will Florence mit all ihrer Liebe zu ihm halten – „In Himmels Hand“ (Heaven help my heart). Ein wunderschönes Liebeslied, das uns eine ganz andere Annika Bruhns zeigte. Ganz zarte Töne, aber sehr stark vorgetragen.

Anatoly hat sich trotz aller Schwierigkeiten, die ihm bei der Emigration gemacht wurden, für Amerika und Florence entschieden. Aber sein Herz hängt noch immer an seinem Heimatland und das drückt er in der eindrucksvollen Hymne „Anthem“ aus. „Lass lächerliche Staaten sich bekriegen.....bloß mein Herz hat keine Grenzen. Es liebt grenzenlos.“

Die kräftige Stimme von Charles Fornara und dieses Lied, das musste einfach gut werden. Es wurde sogar zum eindrucksvollsten Vortrag des 1. Aktes und war ein richtiges Gänsehautlied, das noch bis lange in die Pause hinein  nachwirkte.

 

 

 

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